Sonntag, 24. September 2017

Venedig

"Venedig verwirrt und verzaubert - werfen Sie also den Stadtplan weg und wandern Sie herum."
Wie Recht mein lieber Reiseratgeber 1000 places to see before you die damit doch hat! Bei all den kleinen verwinkelten Gassen hilft einem der Stadtplan ohnehin nicht weiter und mit einer ungefähren Ahnung von der Richtung der nächsten Attraktion kommt man dort auch irgendwann problemlos an.

Je älter (ja ich weiß, ich bin ja noch gar nicht so alt...) ich werde, desto mehr verstehe ich den Spruch Der Weg ist das Ziel!
Sowohl bei meinem Venedig-Besuch als auch während des vergangenen Jahres habe ich realisiert, dass das Beschreiten eines Weges eigentlich viel schöner ist als das Erreichen des Zieles.

Wenn man nur starr auf ein Ziel dahinsprintet, verpasst man all die schönen Augenblicke entlang des Weges. In Venedig lauert beispielsweise in jeder Gasse irgendeine Überraschung - sei es ein schönes Gebäude, ein gutes Restaurant, ein lustiger Shop eine anschauliche Statue oder am Ende einer Gasse sogar ein gemütlicher Park.


Neben unzähligen Tauben befinden sich auch die Möwen immer wieder mal im Sturzflug durch die vielen Menschköpfe und scheinen dieser komischen Spezies gegenüber auch nicht viel Respekt aufzubringen. ;-)

Ich bin stundenlang quer durch die wunderschöne Hauptstadt Venetiens geschlendert und konnte gar nicht genug von dieser auf etwa 120 Inseln verteilten Wasserwelt bekommen.

Man schafft es an einem Nachmittag zu Fuß locker einmal quer durch das Zentrum Venedigs und zurück, auch wenn die Füße danach doch ein bisschen schmerzen. ;-) Ich staunte nicht schlecht, als ich später im Internet las, dass sich das historische Zentrum, welches sich über einige größere Inseln erstreckt, eine Fläche von 7km² hat und finde es beeindruckend, dass dieses Schwemmland bereits durch nacheiszeitliche Flüsse hervorgebracht wurde.




Canal Grande
Dieser über 3km lange s-förmige Kanal ist die Hauptattraktion Venedigs und gewissermaßen
dessen "Hauptstraße".
Mich faszinierte dieses Netz unendlich vieler Seitenkanäle allein schon beim Schlendern über die vielen Brücken und es ist sicher ein märchenhaftes Gefühl, mit einem Wassertaxi oder einer Luxusgondel durch Venedig zu gleiten, allerdings muss man dafür auch einen dementsprechenden Preis zahlen: angeblich 80 Euro für eine halbe Stunde. Ich verspürte an diesem Tag so einen Tatendrang, dass ich gar nicht ruhig sitzen wollte und lieber zu Fuß die versteckten Winkel Venedigs erkundigte. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass so eine Gondelfahrt - speziell am Abend - für ein verliebtes Pärchen sehr romantisch (oder auch einfach Kitsch pur - sorry ein bisschen Single-Sarkasmus muss sein) anmuten könnte.

Als ich gerade wieder mal den Ausblick von einer Brücke genoss, fuhr eine weitere Luxusgondel den Kanal entlang und ein kleines Mädchen neben mir fragte seine Mama so süß: "Ist das eine Königsfamilie?" Die Mutter konnte sich angesichts des typischen Touristenlooks der Passagiere ebenso wenig wie ich ein Schmunzeln verkneifen, lächelte mich schulterzuckend an und streichelte ihrer Kleinen verneinend liebevoll über den Kopf, ohne ihr ihre märchenhaften Vorstellungen einer echten Königsfamilie zu nehmen. Ich finde es immer wieder schön, solche Momente mit wildfremden Menschen zu teilen und sich auch ohne Worte - Blicke sagen ohnehin oft mehr als 1000 Worte - zu verstehen und für einen kurzen Augenblick miteinander verbunden zu fühlen.

Markusplatz
Das wahre Herz Venedigs und laut Napoleon "das schönste Wohnzimmer Europas" ist der Markusplatz, der gleich eine ganze Reihe von beeindruckenden Gebäuden aufweist.

Das imposanteste Gebilde ist eindeutig der byzantinische Markusdom, welcher im 9. Jahrhundert als Mausoleum für den heiligen Markus, den Patron der Stadt, erbaut wurde. Aufgrund der damals engen Beziehung von Venedig und Byzanz wurde der Dom hauptsächlich nach byzantinischen Vorbildern gestaltet, im 14. Jahrhundert folgten dann noch Anbauten im gotischen Stil.
Geschichtliche Notiz für die Hardcoreleser unter euch: Byzanz (das heutige Istanbul) wurde nach der Spaltung des Römischen Reichs in West- und Ostrom durch Kaiser Konstantin I. um 330 zur Hauptstadt des Oströmischen Reichs, wo die antike Kunst unter Einbeziehung orientalischer Einflüsse ausgeprägter weiterlebte und schließlich von ost- und südslawischen Völkern - insbesondere Russland - übernommen wurde. Es wurde zu Ehren des verstorbenen Kaisers sieben Jahre später in Constantinopolis (Konstantinopel) umbenannt und wurde einige Jahrhunderte später als Istanbul zur Hauptstadt des Osmanischen Reichs.
Die Gebeine des Evangelisten Markus wurden nebenbei bemerkt in Alexandria ebenso geraubt wie die vier Bronzepferde, die Anfang des 13. Jahrhunderts in Konstantinopel erbeutet wurden, im Museum des Doms zu sehen sind und deren Reproduktionen man auch an der Fassade des Doms besichtigen kann. Sie sind mir allerdings nicht so sehr ins Auge gesprungen wie die vielen liebevollen Verzierungen und künstlerischen Gestaltungen. Vor allem der für den byzantinischen Stil typische starke sinnbildhafte Charakter der Darstellungen und die Symmetriebetonung imponierten mir sehr.



Dieser Dom wird für mich immer eine besondere Bedeutung haben, weil er das erste Gebäude auf meiner Reise war, das mich verzauberte. Der erste Tag, der erste Städtebesuch (diesen Sommers), die erste Reise in eine andere Zeit und Welt - genau das wird dieser Dom für mich immer symbolisieren. Allein die Fassade beeindruckte mich so sehr, dass ich ewig davor stand und einfach nur staunte, bis mich ein schmerzender Nacken irgendwann in die Realität zurückholte.



Was macht man also, wenn der Nacken schmerzt!? Genau, nebenan in den Glockenturm des Doms
gehen und das Ganze weiter von oben betrachten ;-)

Der Campanile ist eine Replik des Originals aus dem 8. Jahrhundert und mit 99 Metern das höchste Gebäude Venedigs.

Die 8 Euro Eintritt und ca. halbe Stunde Wartezeit sind es allemal wert - der Ausblick ist wirklich atemberaubend! Man muss nicht mal zu Fuß raufhatschen, sondern wird bequem mit einem Lift rauf und runter transportiert, was im Vergleich zu der tristen Rampe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als alleiniger Weg raufführte, als nahezu absurder Kontrast erscheint, wo doch die später eingebaute Treppe auch gereicht hätte.
Jedenfalls hat man von dort oben einen weitschweifenden Blick über ganz Venedig und kann die Pracht des Markusplatzes nochmal auf ganz andere Art und Weise erfassen, welcher neben den beeindruckenden Gebäuden auch etliche nette Restaurants - teilweise sogar mit  nobler Livemusik - anbietet.











Man kann von dort oben auch den Uhrenturm viel besser betrachten und bestaunen. Der Torre dell'Orologio stammt aus dem 15. Jahrhundert und auf ihm schlagen zwei bronzene Figuren die Stunde. Die zwei fleißigen Männchen habe ich erst vom Glockenturm aus richtig gesehen und auch der geflügelte Löwe von San Marco - das Wappentier Venedigs und Symbol des Evangelisten Markus - offenbart sich von dort oben erst in seiner vollen Pracht. Der Markuslöwe wird mit einem offenen Buch dargestellt (in Kriegszeiten manchmal auch mit einem verschlossen Buch), in dem die Worte PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS ("Friede sei mir dir, Markus, mein Evangelist") zu lesen sind. Diesen Löwen findet man an etlichen Orten Venedigs dargestellt.
Um das Bild des Markusplatzes abzurunden, darf natürlich der Dogenpalast (Palazzo Ducale; die Dogen waren ein Herrscher-
geschlecht) nicht unerwähnt bleiben. Der rosa-weiße Marmorpalast befindet sich direkt neben dem Dom in Richtung des Wassers und war von Beginn an als prestigeträchtiges Statussymbol Venedigs für alle ankommenden Seeleute gedacht. Er ist wohl der wichtigste Profanbau (weltliches Bauwerk - Gegenbegriff ist der Sakralbau für religiöse Zwecke) Venedigs. Von ihm aus führt die berühmte Seufzerbrücke zum Palazzo delle Prigioni, wohin verurteilte Gefangene gebracht wurden.
Vor dem Dogenpalast stehen zwei Säulen auf der Piazetta San Marco (Verlängerung des Piazza San Marco), die dem jetzigen und einstigen Stadtheiligen gewidmet sind. So hat die eine Säule (Colonna di San Marco) den geflügelten Markuslöwen an der Spitze, die andere (Colonna di Todaro) den einstigen Schutzpatron St. Theodor. Gegenüber des Marmorpalasts befindet sich schließlich noch eine Bibliothek und im Rückblick hätte ich auf diesem Platz gern noch einige Stunden mehr verbracht und so manches genauer von innen erkundet.
Tipp: Die Warteschlangen für diese Sehenswürdigkeiten sind teilweise recht lange - entweder genug Zeit einplanen oder im Voraus online ein teureres Ticket ohne Wartezeiten kaufen! Bedenkt außerdem, dass der Dom ein religiöses Gebäude ist und die Schultern und Knie bedeckt sein müssen!

Sonstige Highlights
Über die berühmte Rialtobrücke bin ich zwar noch drüber gegangen, habe es aber nicht mehr
geschafft, von einer gegenüberliegenden Brücke aus ein Foto davon zu machen, da ich Venedig bis zur letzten Minute auskostete und den letzten Bus zurück zum Hotel erwischen musste.
So bin ich auch bei der Galleria dell'Academia, der weltgrößten Sammlung venezianischer Malerei von der Gotik bis zum Rokoko nur vorbeigelaufen, aber alles kann und muss man auch nicht sehen, vor allem, wenn man nur einen Tag in einer Stadt verbringt. Im weiteren Verlauf meiner Reise habe ich noch so manches Mal ein vermeintliches Highlight ausgelassen, weil mich ein Straßenkünstler
oder ein schöner Ort derart verzauberte, dass ich alles andere um mich herum vergaß, mich auf der Stelle hinsetzte (manchmal auch einfach mitten am Boden neben dem Sänger oder Maler) und im Moment versank. Oftmals hörte ich Touristen zueinander "so dann geh ma noch schnell da hin, dann könn ma das auch abhaken" oder so etwas Ähnliches sagen und dachte mir, dass sie einige meiner schönsten Momente auf Reisen wohl als sinnlose Zeitverschwendung abtun würden, mir gibt es aber nichts, von A bis Z zu laufen, nur damit ich sagen kann, dass ich es gesehen habe, ohne es jedoch jemals wirklich wahrgenommen oder gefühlt zu haben.
Rückblickend bin ich sogar froh, dass ich beispielsweise die Leonardo da Vinci Ausstellung in Venedig nicht anschaute, da ich mir anhand des Flyers von dort ziemlich sicher bin, dass das Leonardo da Vinci Museum in Florenz um einiges vielfältiger und qualitativ hochwertiger war.

Unterkunft
Ich übernachtete im Hotel Alverì im Industriebezirk Mestre am Festland, welcher seit 1926 zu Venedig gehört.
Das Hotel war schlichtweg perfekt: Es liegt unmittelbar an einer Autobahnabfahrt und ist super schallisoliert. Das Zimmer ist zwar recht klein, erfüllt seinen Hauptzweck - Schlafen und Duschen - aber perfekt.

Am meisten schätzte ich das gute Frühstück, den bequemen Raucherbereich im Freien, die (im Vergleich zum Rest Venedigs) billige Unterkunft und Hotelbar und vor allem die unkomplizierte Busverbindung ins historische Zentrum Venedigs. Das Busticket kann man direkt an der Hotelrezeption kaufen (1,50€ je Fahrt), der Bus hält direkt vor dem Hotel und binnen 20 Minuten ist man im Zentrum Venedigs.
In ca. 10 Minuten ist man außerdem zu Fuß im Zentrum von Mestre, wo man lecker und (vor allem in Vergleich zu Venedig) recht preisgünstig Essen kann und gleich um die Ecke vom Hotel gibt es auch einen Supermarkt. Die Hotelangestellten sind wirklich sehr herzlich und zuvorkommend und ich würde dieses Hotel jederzeit wieder buchen, zumal es einen kostenlosen Parkplatz dabei hat und mir die vielen Touris in Venedig beim Kofferschleppen über die Pflastersteine fast leid taten - warum kompliziert, wenn auch einfacher geht !? ;-)

Fazit: Venedig hat meine Liebe zu Italien entfacht und auch wenn Mailand und Florenz mein Herz noch höher schlagen ließen, kann ich dieser verträumten Stadt viel abgewinnen.



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